Das Nest der Nachtigall by Marco Malvaldi

Das Nest der Nachtigall by Marco Malvaldi

Autor:Marco Malvaldi [Malvaldi, Marco]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
veröffentlicht: 2014-06-09T22:00:00+00:00


Sonntag, grosso modo um die Stunde des Tees

Kommissar Artistico war voller Tatendrang.

Auf der einen Seite hatte er die Gewissheit, wer auf den Baron geschossen, und damit auch, wer beim Versuch, das eigentlich gemeinte Opfer zu vergiften, den armen Teodoro umgebracht hatte.

Auf der anderen Seite genügte diese Gewissheit nicht. Hat man die Krankheit, an der ein Patient leidet, diagnostiziert – sagen wir, eine Blinddarmentzündung –, so kann man ja kaum die Hände in den Schoß legen und abwarten, dass der Bursche wieder gesund wird, nur weil man ihm genau erklärt hat, woran er leidet. Nein, wenn man den Patienten nicht auch operiert, gibt er trotzdem den Löffel ab.

Bevor der Kommissar in Jubelstürme ausbrach, musste er also erst einmal Agatina schnappen. Dazu hatte er seine beiden Mitarbeiter zum Schloss kommen lassen, Oberwachtmeister Bacci Asmodeo und Wachtmeister Ferretti Ivo (worüber die wachten und worin sie Meister sein sollten, wusste Gott allein), und sie beauftragt, das Feld nach der Täterin zu durchkämmen.

Während der Kommissar nun eilig querfeldein ging und nach dem schwarzen Kleid und dem goldenen Haar des Dienstmädchens Ausschau hielt, dessen Finger so locker am Abzug saß, sah er sein künftiges Leben in Schlaglichtern an sich vorüberziehen.

Einladungen des Herrn Baron zum Diner auf Schloss Roccapendente, zu Ehren dessen, der ihm das Leben gerettet hatte, samt seiner Familie.

Weihnachtsabende, an denen die abgestandene und schwülstige Erzählung des Schwiegervaters, der jedes Jahr aufging wie der Teig für den Panettone, von der Jagd auf die schöne Schützin abgelöst und verdrängt sein würde; das Foto, auf dem die junonische Giftmischerin sich anschickte, ihr Werk zu Ende zu führen (und von dem sich der Kommissar eine Kopie hätte anfertigen lassen), würde von Hand zu Hand gereicht werden, während der Kommissar wissend lächelte und sein Schwiegervater …

Ein Schuss durchschnitt die imaginäre Weihnacht des Kommissars, und er fuhr herum.

Auf dem Kamm des Hügels schwenkte Oberwachtmeister Bacci unter Gebrüll seine Flinte.

Der Kommissar rannte los.

Zehn Meter vom Wachtmeister entfernt rief er:

»Habt ihr sie?«

Anstelle einer Antwort kam Bacci dem Kommissar entgegen und zeigte auf die Ebene, die sich unter ihnen ausbreitete. Inmitten der Felder lief eine schwarz gekleidete Gestalt durch Sonnenblumen. Etwa zwanzig Meter dahinter folgte in wachsendem Abstand Ferretti – der Gute ging auf die fünfzig zu und wog bald hundert Kilogramm, und Querfeldeinrennen waren nicht gerade seine Spezialität.

»Ferretti wird sie gleich stellen.«

Der Kommissar fluchte in sich hinein. Als er Bacci vor sich hatte, riss er ihm die Flinte aus der Hand.

»Und was hast du hier verloren?«

»Ich halte die Lage unter Kontrolle.«

Der Kommissar hob den Blick zum Himmel, dem er es verdankte, sich mit einem Nichtsnutz wie Bacci herumschlagen zu müssen. Dann trat er nahe an den Wachtmeister heran und sagte, ohne ihn anzusehen:

»Hör gut zu, du Vollidiot: Wir beide laufen jetzt weiter hinter dieser Frau her. Das Gewehr brauchst du dafür nicht, das wäre nur unnötiges Gewicht. Wenn du auch nur eine Sekunde lang stehen bleibst, mache ich das ebenfalls. Nur dass ich dann sorgfältig ziele und dir eine Kugel verpasse. Ist das klar?«

Im Schloss warteten die wenigen Bewohner, die nicht direkt an dem Vorfall beteiligt gewesen waren, auf Neuigkeiten von dem Verletzten.



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